Leseprobe aus Visionär am Roten Meer

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Im Jahr 2000 hatte Ägypten die Folgen der Herbstanschläge von 1997 wenigstens dahingehend überwunden, dass die Gästezahlen wieder stimmten - und nicht nur das. Die Millenniumsfeiern läuteten ein Rekordjahr ein. Mit einer geschickten Werbekampagne hatte das Tourismusministerium der ganzen Welt klar gemacht, dass überall auf dem Globus zwar der Anbruch des dritten Jahrtausend gefeiert wurde - in Ägypten aber bereits der Beginn des siebten. Auf allen möglichen Werbeplakaten waren stilisierte Siebener versteckt. Zur Feier des Millenniums wurde die Spitze der Cheopspyramide vergoldet. Zahlreiche aufwändige kulturelle Programme lockten die Touristen schon um die Jahreswende nach Ägypten. Der Trend sollte sich fortsetzen. Ende November 2000 war Hurghada so voll wie nie zuvor. Die Stadt war völlig überbucht und plötzlich waren die Betten zu 200 Prozent belegt. Angestelltenquartiere wurden geräumt, Passagierschiffe angechartert und jedes verfügbare Bett in Hurghada freigeräumt, um weitere Urlauber unterzubringen. Doch es reichte hinten und vorne nicht. "Wir mussten die Leute nach Qesir, Luxor und Assuan schicken," erzählt Mohamady. Mit diesem Ansturm hatte niemand gerechnet. Normalerweise werden in der Hochsaison die Hotels bis zu 110 Prozent ausgebucht, weil erfahrungsgemäß noch Stornierungen kommen. Doch diesmal hatten nicht nur alle Reiseveranstalter diese 110 Prozent ausgeschöpft. Es kam auch noch zu zahlreichen Doppelbuchungen und so platzte die Stadt schließlich aus allen Nähten.
Doch dieser Aufschwung sollte nicht all zu lange anhalten. Bereits ein Jahr später waren die Hotels im November wieder nur zur Hälfte gefüllt. Schuld war einmal mehr ein Terroranschlag. Nur hatte sich dieser auf der anderen Seite des Atlantiks ereignet. Am 11. September 2001 rasten zwei Passagierflugzeuge in die Zwillingstürme des World Trade Centers in New York. Eine der Maschinen wurde von einem gewissen Mohammed Atta gesteuert - einem Ägypter.
Nach den Anschlägen hatte es keine Reisewarnung für Ägypten gegeben und so blieb eine große Stornierungswelle aus. Erst mit zweimonatiger Verspätung traf es die Tourismusindustrie am Roten Meer. Dafür aber ziemlich heftig. Die Neubuchungen blieben nämlich einfach aus. Wieder blieben fast zwei Drittel der Zimmer leer.

Fast härter als Hurghada traf dieser Einbruch der Besucherzahlen eine andere Stadt. Tief im Süden hatte man begonnen, Marsalam zu einer neuen Tourismusmetropole auszubauen. Auch Mohamady hatte dort Land für neue Ferienanlagen gekauft, aber mit dem Baubeginn noch gezögert. Im November wurde der neue Flughafen eröffnet - und nun blieben die Gäste aus.
Mohamady begann allmählich zu zweifeln. Sicher war es wichtig für das Land gewesen, den Tourismus aufzubauen. Zehntausende von Arbeitsplätzen wurden alleine in den neuen Hotels geschaffen, ganz abgesehen von den zahlreichen neuen Shops, Restaurants, Taxifahrern, Fremdenführern, Reiseleitern, Animateuren, Tauch- und Surflehrern und anderen Dienstleistern. Viele Familien, die noch vor wenigen Jahren in bitterer Not gelebt hatten, verfügten nun über ein geregeltes Einkommen.
Doch die Verdienstspannen wurden immer kleiner. Die Hotelpreise waren innerhalb von nur zehn Jahren um die Hälfte gesunken. Der Staat hatte neue Abgaben und Steuern eingeführt. Lohnte sich das alles noch? Nach den Anschlägen von '97 hatte Mohammady noch in trotzigem Optimismus gesagt: "Unser Land verfügt über 1700 Kilometer Strand. Wir haben doch erst 80 Kilometer davon bebaut!" Nach den Einbrüchen des 11. Septembers meinte er dagegen, dass die Lage für den Tourismus alarmierend sei.
So begann er sich Neuem zuzuwenden. Das Tourismusgeschäft mit seinen extremen Ausschlägen nach oben und unten schien inzwischen viel zu unberechenbar, um sich alleine darauf zu verlassen. "Wir wussten ja nicht, ob oder wann diese Attentate tatsächlich aufhörten und begannen nach einem zweiten Standbein zu suchen."
Die Möglichkeiten in Ägypten sind jedoch begrenzt. Immerhin hat es zahlreiche Versuche gegeben, neue Wirtschaftszweige zu erschließen. Vieles scheiterte jedoch an falscher Planung, falschen Erwatungen, falschen Voraussetzungen oder einfach an Eigeninteressen.
"Schon in der Schule hatten wir gelernt, Ägypten ist ein Agrarland. Dann kam Nasser und forderte, dass Ägypten von der Nadel bis zur Rakete alles selbst herstellen sollte. Doch diejenigen, die das in der Hand hatten, waren Nassers Vertraute und die Industrie ging pleite," meint Mohamady heute. Tatsächlich traut er der industriellen Entwicklung seines Landes nicht recht über den Weg. Wohl nicht zu unrecht. Ein Beispiel: Lange Zeit dominierten die Kleinbusse von Eltranco das Straßenbild der Städte. Sie symbolisierten so etwas wie eine eigene ägyptische Automobilindustrie. Längst sind diese Busse von japanischen Fabrikaten verdrängt worden und die letzten Eltrancos, die noch auf Ägyptens Straßen unterwegs sind, sollen bald verboten werden - weil sie die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährden.
In den vergangenen Jahren hatte Mohammady selbst ein wenig Geld in kleinere Industrieprojekte gesteckt, die samt und sonders scheiterten. Diesen Weg schloss er also bei der Suche nach einem zweiten Standbein aus. Doch nun erinnerte er sich an seine Schulzeit und den Satz, dass Ägypten immer von der Landwirtschaft gelebt habe. Tatsächlich gründete sich der Wohlstand früherer Jahre auf die Agrarproduktion. Ägyptisches Getreide versorgte fast den gesamten Mittelmeerraum. Selbst das Zentrum der Antiken Welt, Rom, hing während seiner Blütezeit von den Getreidelieferungen aus dem Nildelta ab. Später war es die Baumwolle, die in europäischen Webereien verarbeitet wurde, die zumindest den Menschen im Delta ein gutes Auskommen bescherte. Natürlich schien es wenig sinnvoll nun wieder in diese Produkte zu investieren, doch auf dem fruchtbaren Boden des Nil-Tales gediehen ja noch andere Früchte - Früchte, die in Europa durchaus begehrt waren. Natürlich war auch dieser Markt hart umkämpft, doch Mohammady, mit seinem exzellenten Gespür für europäische Bedürfnisse, fand auch hier eine Lücke: Ökologischer Anbau.

 

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